Zeitdiebe...
Unsere unter Konsumzwängen auf Dauerwachstum ausgerichtetes, kapitalistisches Wirtschaftssystem ist mittlerweile in allen Lebensbereichen zum Impulsgeber unseres Lebens geworden. Zeitwissenschaftler haben die klare Erkenntnis gewonnen: dieser Impulsgeber macht die Menschen krank.
In einer auf Konsumzwänge ausgerichteten Alltagshetze, in der die meisten Menschen das Gefühl empfinden, ihnen läuft die Zeit davon, wird das “immer mehr haben müssen” zum Leitgedanken des “immer mehr verdienen müssens”. Der Mensch verplempert viel zu viel wertvolle Lebenszeit für einen Verdienstprozess, der ihn in die Lage versetzen soll, Produkte zu erwerben, deren Notwendigkeit ihm die Werbung unabhängig von einem - bzw. besser gesagt entgegen einem - tatsächlich bestehenden Bedarf suggerieren will. Zwangskonsumenten mit und ohne ausgeprägtes Suchtverhalten sind nach Auffassung der Wissenschaft oftmals überhaupt nicht mehr fähig, zu erkennen, dass sie ohne die Erzeugnisse, denen sie durch den “Verkauf” ihrer Lebenszeit nachhetzen, i.d.R. aus zweierlei Gründen glücklicher wären: zum einen, weil sie über mehr Zeitpotential für wirklich wichtige Dinge verfügen würden, zum anderen, weil sie ein überflüssiges Produkt weniger besässen. Nun könnte man argumentieren, dass des Menschen Wille sein Himmelreich ist, also der Produktbesitz auch dann zu einem positiven Effekt führt, wenn der “Unwissende” mit dem Erreichen des Besitzes ein Erfolgserlebnis verbindet. Ungeachtet der Bezweifelbarkeit dieser These, spricht jedoch die Tatsache, dass die Zeit unwiederbringlich verloren ist und dies die meisten Menschen im Nachhinein früher oder später auch negativ wahrnehmen, ein klares Endresultat aus. Wir fühlen uns sehr oft - wie jeder bei sich selbst nachvollziehen mag - ”danach” schlecht, sind jedoch vor dem Hintergrund der kapitalistischen Profitmechanismen kaum in der Lage, bei dem jeweils für uns “bedrohlich” werden Produktfeld zu widerstehen. Aber nicht nur der letztlich “gefühlt schlechte Zeiteinsatz” ist die Folge. Nein, der Konsumzwang dringt von so vielen Seiten auf uns ein, dass der Zeiteinsatz auch zur “Hetze” wird. Wir verlieren also nicht nur unnötig Lebenszeit, NEIN, wir machen uns auch für die wenige, verbleibende Zeit krank, weil wir unseren Lebensrhythmus unnatürlich beschleunigen. Wer ist sich dieser Situation wirklich bewusst ? Hand hoch ! Die Zeitwissenschaftler sagen: Niemand wirklich! Sie sagen, dass Leben ohne Musse nicht als wirkliches Leben begriffen werden kann, weil der schnellere Rhythmus nicht wirklich mehr erlebbare Zeit bringt, bestenfalls die Illusion hierfür. Die Risiken und Nebenwirkungen, auf die kein Arzt oder Apotheker hinweist, sind jedoch gigantisch! Weitere interessante Ergebnisse der Zeitwissenschaft - hier soll beispielhaft auf die einschlägigen Publikationen von Herrn Prof. Karlheinz Geißler verwiesen werden - zeigen vor dem angerissenen Hintergrund auf, wie verheerend viele aktuelle Errungenschaften wie z.B. Handys auf die dargelegte Situation wirken (wir alle wissen, über wieviel Geld die Person verfügen müsste, die bei einem zukünftigen Eindeutigkeitsnachweis (?) einer auch nur geringfügigen Schädigung des Menschens durch den Handygebrauch bzw. erforderliche Funkmasten, ein Handyverbot durchsetzen wollte !).
In vielen Bereichen haben die Wirtschaft und Medien es sogar geschafft, unsere wertvolle Zeit an sich zu ziehen, ohne dass auch nur eine minderwertige Gegenleistung im eigentlichen Sinne gewährt wird. Die Mechanismen, mit der unsere Aufmerksamkeit auf Werbung u.v.m. gezogen wird, stehen häufig in keinem Verhältnis zu unserem wirklichen Interesse an der Sache. Untersuchungen haben gezeigt, dass in Versuchen die Probanten bei nüchterner und besonnener Betrachtung selbst entsetzt gewesen sind, welchem beworbenen Schund sie überhaupt ihre Aufmerksamkeit zuvor geschenkt hatten. Diskutieren wir darüber, ob derartige Praktiken legitim sein dürfen, auch wenn für uns die Antwort eigentlich klar zu sein scheint - jedenfalls ist dies immer noch besser, als diese Praktiken nicht mehr wahrzunehmen.
Ein besonders extremes Beispiel kundenverächtlichen Zeitdiebstahls stellen die telefonischen Spracheingabesysteme gewerblicher Unternehmen dar. Interessanterweise werben gerade Grossunternehmen aus der Telekommunikation u.ä. mit ihrer sprichwörtlichen Kundenfreundlichkeit. Dennoch lassen Sie Menschen sich mit so erheblichem wie unverhältnismässigem Aufwand an Zeit und Geduld durch komplexe Sprachführungssysteme hangeln. Untersuchungen haben ergeben, dass einem Gesprächspartner aus Fleisch und Blut oftmals innerhalb von 20 Sekunden selbst komplexere Sachverhalte vollständig vermittelt werden könnten, während die gleiche Prozedur über ein Spracheingabesystem über 10 Minuten andauern kann. Wenn dies nicht eine weitere Form von Menschenverachtung darstellt, so erscheint es doch zumindest “etwas” kundenfeindlich ? Es ist sehr gut verständlich, wenn immer häufiger Bürger den Boykott solcher Unternehmen fordern, die uns in dieser Art und Weise für dumm verkaufen...
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