NSU-Prozess...
Es soll überhaupt nicht in Frage gestellt werden, dass sich die Münchner Justiz in dem im Frühjahr 2013 “veranstalteten” NSU-Prozess alle Mühe gibt, ein faires Verfahren zu gewährleisten. Allerdings zeigen die offenbar schwer vermeidbaren medialen Einflüsse - wie u.a. bereits im Kachelmann-Prozess -, dass die Macht medialer Einflussnahme vollendete Tatsachen schafft, deren Vereinbarkeit mit rechtsstaatlich garantierter Prozessführung sehr in Frage steht. Dass sich eine weitere Dimension auswärtiger Medieneinflüsse durch den Verfahrensgegenstand eröffnet hat, macht die Sache nicht besser.
Bereits die geförderte Kommentierung und Projiektion von Eindrücken aus dem Gerichtssaal nach der emotional ausgerichteten Zielrichtung “die Angeklagte ist offenbar so kaltblütig, dass sie immer noch keine Regung oder Reue zeigt” hat auch am Rande eines rechtsstaatlich geführten Verfahrens in der öffentlichen Medienpräsenz definitiv nichts zu suchen. Dabei wird nicht verkannt, dass in dem Verfahren schwerwiegende Verbrechen angeklagt sind, deren Aufarbeitung und Verurteilung zum Berichtszeitpunkt allerdings noch ausstehen. Hier braucht das grosse Wort von der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung gar nicht bemüht zu werden. Alleine die immense Gefahr, dass bei dem das Urteil beeinflussenden Personenkreis Eindrücke aus dem “medial-spekulativen” Umfeld und dem Prozessgeschehen zerfliessen, also zur Vermischung gelangen, ist rechtsstaatlich untragbar, jedoch - wie der Verfasser dieser Zeilen aus über 27 Jahren Strafverteidigertätigkeit weiss - nicht ausschliessbar, um nicht zu sagen unerträglich wahrscheinlich. Es ist offensichtlich, dass sich Justizkreise nicht gerne mit der immensen Medienmacht anlegen, dennoch bleibt keine andere andere Möglichkeit, als endlich einzuschreiten, wenn sich die für eine mediale Berichterstattung heutzutage leider so essentielle Sensationsgier in den Gefilden der üblen Stimmungsmache und Spekulation auflöst. Egal, ob selbst ernannte oder echte Experten ihre spekulativen Ergüsse über das Zeitungs- oder Fernsehpublikum auskippen, dies erzeugt nicht selten eine ausgeprägte Form der Vorverurteilung, der (der oder) die Angeklagte hilflos ausgeliefert ist. Dies stellt nach der Auffassung des Verfassers nicht nur eine Verletzung rechtsstaatlicher, strafprozessualer Prämissen, sondern gleichwohl eine extremen Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar, die bestimmt, dass der Angeklagte nicht zum wehrlosen Objekt eines Strafverfahrens werden darf. Dies gilt umso mehr, als in dem vorliegenden NSU-Prozess die Gefahr greifbar erscheint, dass eine nicht als Haupttäterin in Frage kommende und sich nicht aktiv wehrende (schweigende) Angeklagte vor dem Hintergrund diverser “Ermittlungspannen” zum “Sündenbock” erkoren werden könnte.
Bei alledem soll keineswegs der Blick von der Opferseite abgewandt werden, die einen Anspruch darauf hat, dass nach hiesigem Recht und Gesetz verfahren und geurteilt wird sowie schlecht beraten wäre, über den Schmerz im Sinne einiger medialer Spekulanten Rachegefühle freien Lauf zu lassen, die sie u.U. von der Frage entfernt, wer denn im Ergebnis dazu beigetragen hat, dass es soweit kommen konnte. Auch wenn der Unterfertigte kein Freund von Verzögerungs- und Behinderungsstrategien in Strafverfahren durch breit gefächerte Verteidigeraktivitäten ist - wie in dem NSU-Prozess schon zu Prozessbeginn praktiziert -, für den “ach so unglaublichen” Antrag der Verteidigung, das Verfahren wegen der Vorverurteilung ihrer Angeklagten einzustellen, kann er angesichts der vorbezeichneten Situation und im Interesse einer rechtsstaatlich unbedenklichen, auf Wahrheitsfindung ausgerichteten Prozessführung ein gewisses Verständnis nicht verhehlen...
RA Dr.D.Schedel
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