Sensationsgier...
Bereits seit 2003 sind auf dieser Seite die drei folgenden Absätze über ein Szenario zu lesen, wie es uns auch heutzutage leider noch sehr bekannt vorkommen muss. Lesen Sie also weiter - der Inhalt hat nichts von seiner Aktualität verloren; auf aktuelle Entwicklungen bezogene Anmerkungen zum Thema folgen danach...(*)
In anspruchsfeindlicher Programmausgewogenheit zwischen Maschendrahtzaun-Songs und Heile-Welt-Liedern von Mutter und Tochter Hellwig werden in den täglichen Nachrichten nunmehr immer wieder Politiker ruchbar, die korrupt zu sein scheinen. Hatte Herr Westerwelle etwa recht, wenn er meinte, dass wir uns freuen sollten, weil wir die Aufdeckung der Politskandale den Segnungen einer gut funktionierenden Demokratie zu verdanken haben ? Falsch! Ganz auf der Welle der unsere Gesellschaft aufzehrenden Egoismus- und Profitideologie wird freilich vieles aufgedeckt, aber häufig wohl kaum aus Menschenfreundlichkeit, sondern nur aus vermarktungsfähiger Sensationsgier! Der Beweis ist mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre leicht anzutreten: Es wird immer wieder aufgedeckt, aber nichts konsequent aufgearbeitet. Daher wussten auch verschiedene "rücktrittsverdächtige" Politiker (wie z.B. Schäuble und Sauter) in der jüngeren Vergangenheit bei Befragungen nicht so recht, "was ein Rücktritt für die Sache bringen sollte". Ein berühmter Kriminologe brachte einmal zum Ausdruck, dass jede Gesellschaft die Verbrecher hätte, die sie verdient. Das gleiche gilt wohl auch für Politiker. Es wird verdammt schwer werden wird, wieder den einzig wahren Politikertypus zurückgewinnen: nämlich den, der die Menschen mehr liebt, als seinen Posten.
Nur noch kurz zurück zum Thema “Sensationsgier” mit der so gängigen wie unbeantworteten Gretchenfrage: Brauchen wir etwa die sensationsgeile, menschenverachtende Ausweidung von fremden Leid in der täglichen Berichterstattung ? Müssen vom Hochwasser ruinierte Menschen oder Angehörige von Sexualstraftatopfern im Augenblick tiefsten Leids und psychischer Verstörtheit unser Leben in den Tagesnachrichten “bereichern”, in dem sie vor laufender Kamera zwischen Darstellung und Empfindung eines furchtbaren Ausnahmezustandes zur Befriedigung unseres Informationsbedürfnisses und des “Informationsauftrages” eines Senders hin- und hertaumeln ? Von “Bild”-Redakteuren vernehmen wir hier ein klares “Ja”. Und viele andere schliessen sich aus Ehrfurcht vor der auf diese Antwort gestützten Auflagenstärke vorbehaltlos an. Können soviele Leser irren ? Gegenfrage: Hat man sich in etwas geirrt, wenn man dazu verführt worden ist ? Antwort des “Bild”-Redakteurs: Nein, denn man wollte ja verführt werden! Gegenfrage: Wirklich ? Zur Antwort verweise ich auf das Thema “Suggestivverführung” mit folgender Ergänzung: niedere Triebe vermag derartige Berichterstattung direkt oder beiläufig genug zu befriedigen, wenn man sich Zutaten und Rezept ansieht: Vermische “zweckdienlich formulierte” Extremdarstellungen - egal, ob sensationelles Leid oder Glück - und Sex so mit unverfänglichen Alibithemen (Sport, Wetter, Lotto etc.), dass wegen der einen Zutat gekauft wird und die andere zum Vorzeigen taugt...
Ticker...
Bezeichnenderweise wird das im August 2004 ergangene “Caroline-Urteil” des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf breiter Basis von deutschen Redakteuren als eine Form des Unterganges der Pressefreiheit und Zensurmassnahme angeprangert. Auch ohne eine betroffene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu sein, kann ich hier mit den Betroffenen mitfühlen, wonach eine derartige Wertung nicht nur längst überfällig war, sondern lediglich die unterste Grenze eines menschenrechtswürdigen Umganges der Presse mit Personen des Zeitgeschehens darstellt. Dieses Urteil geht nach der berechtigten Auffassung diverser Juristen, die sich Sorgen um die heute übliche, fortgesetzte Beugung der Menschenrechte machen, noch nicht weit genug; dass die leider noch weitaus restriktivere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für diesen Personenkreis keinen Widerspruch (hierzu) darstellt, dürfte nicht verwundern. Ohnedies ist das auf die Edelmütigkeit des brutalst möglichen Aufklärers getrimmte Geschrei der sich so gerne sensationslüstern im lukrativ verwertbaren Schlafzimmergestöhne prominenter Personen suhlenden Regenbogenpresse unberechtigt, weil das Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch im privaten Bereich keinerlei Recherchen verbietet, die sich auf die öffentlichen Ämter der Recherchierten beziehen; hätten diese Presseorgane doch wenigstens bereits bisher ihre Möglichkeiten und Freiheiten dazu genutzt, um aufgedeckte, politische Skandale auch tatsächlich zur - einzig verdienstvollen - Aufarbeitung zu bringen, dann läge wohl deutlich mehr Nachvollziehbarkeit in dieser nunmehr nur als verlogen zu empfindenden Argumentation. Im übrigen haben es immer mehr Menschen verständlicherweise satt, sich - erinnern wir uns an Demokratie und Kirche - auch für die Pressefreiheit immer wieder das Leitbild vorhalten zu lassen, wenn sie diejenigen nur folgenlos kritisieren können, die es schamlos missbrauchen...(*)
Scheinheiliges, profitorientiertes Wohltätertum der Medien - finanziert mit dem Geld von Lesern, Hörern und Zusehern - ist - wie bereits dargelegt - zwar teilweise “abzuhaken” unter dem Thema “Der Zweck heiligt die Mittel” oder “Hauptsache, jemandem wurde geholfen”. Seine bedenklichen Ausläufer können jedoch nicht unkommentiert bleiben. Neben den in der Öffentlichkeit exponierten, auf Renommee oder andere direkte und indirekte Vorteile des “edlen Spenders” gerichteten, “uneigennützigen Gaben” sind es die den Anstrich des “edlen Helfers” nutzenden Aktivitäten von Medien, Bürgern zu ihrem ansonsten offenbar nicht zugänglichen Recht zu verhelfen, die hier zu nennen sind. Insoweit treffen tatsächlich Missstände aufeinander, die in vollem Umfang unsere heutige Situation anschaulich machen. Auf der einen Seite steht so etwa ein durch und durch böser Mitarbeiter einer Krankenkasse, der in einer unmenschlichem Entscheidung einem schwer kranken Kind die lebenserhaltende Operation verweigert, weil diese medizinische Massnahme nicht von irgendeiner auf Sparsamkeit bedachten Kommission als ausreichend aussichtsreich in den Katalog beitragsfinanzierter Therapien aufgenommen wurde. Auf der anderen Seite steht das Medium als “Rächer der Enterbten”, das die Krankenkasse mit ihren im Mitleid gebadeten Attacken unter Beschuss nimmt. Keine Frage, wer gewinnen sollte, auch wenn das Medium einzig auf den Umstand aus ist, die gesamte Aktion sensationsgeil auszuschlachten! Aber was ist mit den vielen anderen Betroffenen und Benachteiligten, die nicht in die Sendequotierung aufgenommen werden können ? Die können es genauso machen ? Ja, aber mit welchem Erfolg, wenn “kein Schwein” zusieht ? Und wie oft wird in diesen Fällen die Krankenkasse zahlen, obgleich die Zahlung vorschriftswidrig ist, jedoch durch die Zahlung ein in der Öffentlichkeit entstehender Schaden abgewendet werden muss ? Wahrscheinlich sehr oft! Tatsächlich liegt hier ein riesiges Problem der Ungleichbehandlung und eines legitimierten, Druck ausübenden Verhaltens des Mediums. Beides wird viele Medien jedoch vor dem Hintergrund, ihren kurzfristig angesteuerten, “nach aussen” als Edelmut verkauften Zweck erreicht zu haben, “einen Dreck” interessieren. Mit Sicherheit ist vielen (nicht naiven) Medien auch voll bewusst, dass das “Spielchen” mit dem öffentlichen Druck und dem Mitleid nur einmal funktioniert. Dieses eine Mal ist der Krankenkasse ihr guter Ruf wert. Aber was ist mit anderen Betroffenen ? Ein gehässiger Mensch käme hier sogar auf den Gedanken, dass die Krankenkasse die “Publicity”-Investition wieder hereinholen wollen könnte, was für die Aussichten weiterer Betroffener, aber auch die Bewertung des “Edelmuts” des Mediums fatale Auswirkungen hätte. Aber es merkt ja keiner! Also: Wären derartige medialen Aktionen aufrichtig, so würde sich ein Angebot anschliessen, dass vergleichbar Betroffene von medialer Seite mit Unterstützung rechnen können. Nichts von alledem ist die Regel. Dies wäre gerade in einer Zeit, in der Recht so stark von der Möglichkeit dessen Risiko zu finanzieren abhängt, eine riesige Aufgabe, die - abgesehen von den immer magerer werdenden Möglichkeiten staatlicher Prozessfinanzierung und dem Angebot einiger, weniger Verbände (z.B. Weisser Ring) - kein anderer effektiv wahrnimmt. Zweifellos wächst das “Macht vor Recht”-Syndrom wieder unaufhaltsam, weil die Finanzierung einer Rechtsverfolgung sich für viele Bürger wieder erheblich problematisiert hat. Bei dieser Situation bleibt vielen Bürgern bedauerlicherweise an Stelle des schönen rechtsstaatlich-demokratischen Rechtsweges tatsächlich oftmals leider nur der “kalte Krieg”: Ihr Anliegen in die Öffentlichkeit bringen und/oder die mächtige Organisation ausserhalb einer Kostenentstehung mit Widersprüchen und Ähnlichem “mürbe” zu beschäftigen...
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